Friedhof der Monolithen


Erinnert ihr euch noch? Damals, als Telefone keine strahlenden Rechtecke, sondern Objekte waren? Die zu klappen, kippen, drehen und schieben waren? An Joysticks und SMS-löschen?
Nun, ich erinnere mich. Mit Wehmut.

Nicht ohne meinen Schweinebraten!

Ich hatte gerade schon rund 1500 Zeichen dazu geschrieben, warum ein „Die Welt“-Artikel mit der Überschrift „Merkel bittet Migranten um Toleranz für Schweinebraten1“ bösartiger Unsinn ist. Aber: dazu musste ich nicht recherchieren, abwägen, Statistiken wälzen, sondern einfach nur den Artikel lesen, also: nicht mal den Artikel, es reicht der erste Abschnitt, in dem Frau Merkels Aussage und die (sehr wohlwollend umschrieben) „Interpretation“ meilenweit auseinanderklaffen.

Und was will ich um jeden Preis vermeiden?

Langweilen und die Intelligenz meiner Leser*innen beleidigen.
„Die Welt“ langweilt nun nicht, aber letzteres hat sie ziemlich gut drauf.

Nix wie raus

„I am asking the British public to take back control (…) from those organizations which are distant, unaccountable and elitist (…) the people of this country have had enough of experts“
– Michael Gove

Brexit, Trump, AfD1: Gerade setzen sich weltweit in erschreckender Anzahl schrille Stimmen durch, die nicht nur dreist ignorant, sondern dezidiert faktenfeindlich2 sind. Das Establishment, sei es Medien, Politik oder Wissenschaft ist wenigstens abgehoben und wahrscheinlich korrupt. „Volksverräter“ schreit die Pegida.

Kontrolle braucht das eigene Land, über die eigenen Geschicke, und das heisst vor allem: Abschottung und das Ende jeder Solidarität. Über Donald Trumps „Mexiko-Grenz-Mauer“-Pläne wird gerne gelacht, aber die in Deutschland geforderte Einschränkung des Asylrechts ist nicht weniger wahnwitzig-menschenverachtend.

Wir sind angelangt bei „wir gegen die“, jeder für sich, und alle gegen Menschen mit Fluchthintergrund.

Was eine existentielle3 Wirtschaftskrise vor ein paar Jahren nicht geschafft hat, besorgt nun eine eklige Ladung Nationalismus, Populismus und Xenophobie: Das Ende der Europäischen Gemeinschaft wie wir sie kennen.

Währenddessen: Menschen sterben auf dem Mittelmeer.


  1. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen. 
  2. „Lügenpresse“ 
  3. Im Falle Griechenlands 

Nachbarn, die nach dem Rechten sehen

Jerome Boateng, Deutscher mit Migrationshintergrund und Nationalspieler hat sich von AfD-Vize Alexander Gauland1 anhören müssen, dass „Leute2 ihn „nicht gerne als Nachbarn haben3. Das ist widerlich, aber keine wirklich überraschende Äusserung für einen AfD-Funktionär.

Diese fremdenfeindliche Vorlage verwandelt nun aber die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung zu einem ekligen Eigentor4: sie schickt doch tatsächlich einen Reporter in den Münchner Stadtteil Grünwald und befragt die Nachbarn: Wie benimmt er sich denn so, der Farbige?

Auch das ist lupenreiner Rassismus, liebe FAZ.


  1. Nomen est omen 
  2. Vermutlich: Deutsche deutscher Hautfarbe mit deutschem Hintergrund. 
  3. Kritik an AfD-Vize: Empörung über Gauland-Äußerung zu Boateng | tagesschau.de 
  4. „Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat Boatengs Nachbarn nach Vorbehalten gefragt“ – AfD-Vize Gauland beleidigt Jerome Boateng 

Huffington Post

Wer sich am Kiosk mit Blick auf das BILD1-Titelblatt denkt:
Hach, ich wünschte es gäbe so ein dreist-dummes Sensationsgeschmiere auch eher links und ein wenig hip, dem sei die Huffington Post ans Herz gelegt.

Journalistisches Kronjuwel der „HuffPost“ ist ohne Frage der Bereich „Blogs“2, der exemplarisch mit folgendem Klick-Mich-Fick-Dich Beitrag aufwartet:

Screenshot: Facebook
Screenshot: Facebook

„Xavier Naidoo und Heino schmeißen die Party bei der AfD“ heisst er frisch verlinkt bei Facebook, der eigentliche Artikeltitel ist dann nicht ganz so unverschämt falsch, aber immer noch irreführend: „Xavier Naidoo + Heino = Disko bei der AfD“, garniert mit einem Photo des AfD-Sprechers und „Afrikanischer Ausbreitungstyp“-Arschgeige3 Björn Höcke.

Xavier Naidoo4 und Heino5 sind nun Unsinns nicht unverdächtig, haben aber wohl eher doch keine „Party bei der AfD“ geschmissen – der Artikel verliert jedenfalls kein Wort mehr dazu.

Stattdessen werden musikalische Präferenzen von AfD-Wählern ausgebreitet. Und dabei ausführlichst YouGov, „ein Produkt zur Analyse von Marken und Zielgruppen“ zitiert, erwähnt (6x) und verlinkt6 (3x). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, etwa:
Autor und YouGov-Marketing-Manager Philipp Schneider.


  1. Selbstzuschreibung: „Zeitung“ 
  2. Selbstzuschreibung: „Eine offene Plattform für kontroverse Meinungen und aktuelle Analysen aus dem HuffPost-Gastautorennetzwerk“ 
  3. Geyer, Steven, Berliner Zeitung: „Lebensbejahender afrikanischer Ausbreitungstyp“ AfD-Spitze rügt Höckes Rassenkunde-Referat als parteischädigend“ 
  4. Songtitel: „Der Herr knickt alle Bäume“ 
  5. Songtitel: „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ 
  6. Eine Verlinkung unterlasse ich hier aus offensichtlichen Gründen. 

Helmut Schmidt, Tinder & eine hastige Medienkritik (in 170 Worten)

„Ich las vom Tode Helmut Schmidts“ hätte ich gerne geschrieben, aber statt am nächsten Morgen einen würdevollen (und würdigen) Bericht aus dem Briefkastenschlund zu fischen konnte es mein Telefon nicht abwarten.

So sterben Berühmtheiten heute, das iPhone pingpong-virbriert stolz eine instant Notification, eingerahmt von Tinder1, Twitter2 und Todo-Liste3.

Jedenfalls: Tot ist er, verkündet SpOn, und mein aller-aller-erster Gedanke war weniger medien-konsum-kritischer (oder gar politischer4) Art, sondern dumm-dreist folgender:

Jetzt ist der dahin: der Fels in der braun-gelben Brandung des Rauchens. Der so selbstverständlich rauchte, wo niemand sonst rauchte, ja, Aschenbecher und Augenaufschlag erwarteten ihn, wohin er auch ging , bzw. in späteren Jahren: rollte.

Und jetzt, wo er tot ist: Da werden die Ernst machen. Die Vernünftigen. Die im Recht. Dem Spuk ein Ende. Es hat sich ausgeraucht in Deutschland.

Weg mit diesem sagenhaften Unsinn, dem Rauchen, durchzuckte es mich, mit der Notification noch warm auf dem Display.

Dann pingpong-vibrierte mein Telefon erneut. Es war Tinder. Eine Raucherin.


  1. Tinder: Hält meist, was es verspricht. 
  2. Twitter: Ich verstehe das Versprechen nicht, nehme aber teil. 
  3. Todo-Liste: Ich verspreche mir selbst grundlos viel zu viel. Es ist zum Verzweifeln. 
  4. Ich habe die Zeit-Interviews mit Helmut Schmidt immer genossen, oft begleitete einen sehr hellen Kopf aber auch eine halsstarrige Ader. Aber danke für die klaren Worte. 

Für Deutschland singen

Deutschland kann nicht singen1, also muss jemand für Deutschland singen, beim Eurovision Song Contest, dem jährlichen Musik-Event für alle, die keine Musik mögen.

Diesmal singt das Mannheimer Pop-Irrlicht Xavier Naidoo, das hat die ARD so beschlossen2. Und ich muss sagen: Hut ab, öffentlich-rechtliche Unterhaltungs-Redaktion! Passender ist nicht.

Leicht wehleidig, auf jeden Fall pathetisch, rückwärts gewandt, mit den Falschen auf der Strasse3, empfänglich für Verschwörungstheorien, ein krudes Weltbild mit stolzgeschwellter Brust vor sich her tragend – Deutschland, 2015.

Alleine der Gesang: Viel zu harmonisch für dieses Deutschland.

Apple Keynote

Ich gehöre ja zu den Idioten, die sich (sollte kein soziales Event anstehen) die komplette Apple-Keynote live angucken (ich koche der Bodenhaftung wegen meist parallel).

Ich könnte das hinwegerklären damit, dass Apple schon viele bahnbrechende Produkte veröffentlicht hat, und dass ich als Medienkünstler darüber Bescheid wissen sollte, dass Apple in Punkt Produkt-Design regelmässig Massstäbe setzt, dass die Inszenierung phänomenal ist und dass…

Ach scheisse, die Keynote ist mein Superbowl, das ist meine WM.

Apple-Produkte haben die Erwartungen an Technologie schon mehrfach so fundamental verändert, da schaue ich mir wie Millionen anderer Affen die eine 120(!)-minütige Werbeveranstaltung für scheiss-teure Luxus-Technik an und fresse Chips dazu.