Fick Gott

Heuer war ich im schönen Wien unterwegs, ich lustwandelte durch den ganzen alten wunderbaren Prunk gen Museumsquartier, als mich, direkt an der Karlskirche, ein zerbrechlich wirkender alter Mann ansprach.

„Können Sie deutsch“, fragte er, und ich bejahte wahrheitsgemäß und blieb stehen.

„Haben Sie schon die frohe Botschaft bekommen?“ setzte er nach, bereits agitiert, und ich entgegnete (wiederum: wahrheitsgemäß, aber auch belustigt): „Ja, danke, aber danke nein, ich bin Atheist, so was von“, und setzte mich wieder in Bewegung.

Nun aber entwickelte der alte Mann eine verblüffende Agilität, er hielt nicht nur mit meinem zunehmend forschen Gang Schritt, sondern hatte auch noch ausreichend Luft, mich mit Phrasen zu bewerfen:

„Sie müssen sich bekehren!“ – „…“
„Gott wacht über Sie“ – „…“
„Wie ist denn diese Kirche entstanden“ – „Menschen haben die gebaut“, antwortete ich da lachend, weil a) Das Argument so löchrig und b) er mit so viel Ernst bei der Sache war.

„Lachen Sie nicht, wie erklären Sie sich denn die ganze Komplexität, die…“ – „Evolution!“ lachte ich, und er: „Es ist noch nicht zu spät für Sie, sie müssen Gott annehmen, JETZT, bald kann es zu spät sein, sonst werden Sie in der Hölle…“

Und da riss meine Geduld: Sein Hartnäck, sein Gefuchtel, die missionarische Eifer-Sucht: Die Situationskomik war aufgebraucht.

„GOTT HÖRT JEDES WORT!“ rief er.

„FICK GOTT!“, entbrach es mir da, sehr laut, sehr quer über den (sehr schönen) Karlsplatz1, und ich stapfte weiter, ohne mich noch einmal umzusehen.

Wenige Schritte weiter dachte ich prompt, oje, war das denn wirklich nötig, warum so dünnhäutig. Du hast du dich da so leicht, so willig aus ultrabehaglich-urlaubeskem Wohlgefühl in die Tiefe der Obszönitäten gestürzt. Und: Ich bin Atheist, aber mein Weltbild konstituiert sich ja auch aus Symbolen, Dingen und Ritualen, die andere als himmelschreienden Unsinn empfinden würden, und nur weil mein Hirnschwammerl Religion(en) als reichlich kindisches Koordinatensystem wahrnimmt, verleiht mir das ja nicht das Recht, Schimpfworte quer über (sehr schöne) Plätze zu brüllen.

Aber dann, ein paar Meter weiter, dachte ich: Neeeeeeeee. Das war wunderbar kathartisch für mich und ich mache jede Wette: es war auch wunderbar kathartisch für ihn. Er glaubt nun bestimmt, dass ich für diese Beleidigung in der Hölle schmoren werde, und freut sich heimlich drüber.

Also: ich hoffe, dass er sich freut, dass ich dafür in der Hölle schmoren werde. Denn dann haben wir beide einen feinen Tag gehabt.


  1. Wäre ich in einer meine Kurzgeschichten, hätte ich eine bayerische Reisegruppe hinzuerfunden, die sich in der missbilligendst möglichen La-Ola-Welle zu mir umdrehen. Aber hier muss Wahrheit walten.